Im Juni 1999 wandten wir uns an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Noch immer gab es Fragen, die nicht umfassend geklärt waren oder die Versuche einer Erläuterung waren für uns unbefriedigend geblieben. Über den Petitionsausschuss hofften wir auf Unterstützung.
Folgende Punkte trugen wir als Petition vor:
- Heranziehung von jungen Menschen zum Wehrdienst mit Reifegradverzögerung, so dass auch ungeeignete Wehrpflichtige Dienst mit Schusswaffen leisten können
- Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht (Das Gericht stellte fest, dass der Täter zur Tatzeit zwar 19 Jahre alt war, jedoch einen geistigen Entwicklungsstand unter 18 Jahre hatte. Dies wurde auch durch das zuständige Jugendamt bestätigt. Somit stand die „erzieherische Strafe“ im Vordergrund
- Anmahnung einer offiziellen Stellungnahme durch die Bundeswehr
- Abklärung, warum keine disziplinarischen Maßnahmen gegen den 2. Schützen seitens der Bundeswehr ergriffen wurden
- Vorwurf an die Bundeswehr, durch Nichtumsetzung von Empfehlungen nach dem tödlichen Schießunfall 1992 und ungenügende Beaufsichtigung der Soldaten, den Tod von Christian in einem erheblichen Maße mit verschuldet zu haben.
- Entschädigungsleistungen
Die damalige Vorsitzende des Petitonsausschusses Frau L. teilte uns mit, dass sie unsere Eingabe zum Anlass genommen hat, eine Überprüfung einzuleiten und forderte eine Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung an.
Im April 2000 erhielten wir eine erste Antwort von dort:
Der Petitonsausschuss schloss sich zu den obigen Punkte 1 bis 6 den Meinungen aller Behörden an.
So hieß es u. a.,
- dass die Kreiswehrersatzämter umfassend bemüht seien, im Musterungsverfahren den körperlichen und geistigen Entwicklungsstand richtig zu beurteilen,
- in der Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht keine Beanstandung zu erkennen sei,
eine disziplinare Reaktion nicht in Betracht gekommen sei, weil zunächst das Strafverfahren abgewartet werden musste und die Wehrpflichtigen dann bereits aus der Bundeswehr entlassen waren,
- gegen Fehlverhalten Einzelner (Schießunfall 1992) helfen leider auch die besten Vorschriften nicht ,
- die Aufarbeitung des Schießunglücks einer Vielzahl von Stellen oblag, ein sogenannter „Gesamtbericht“ jedoch nicht zu erstellen war, und
- weitergehende Ansprüche als aus dem Versorgungsgesetz ausgeschlossen seien.
In einem weiteren Brief vom Mai 2000 machten wir gegenüber dem Petitionsausschuss deutlich, dass wir diese Antworten als unbefriedigend und enttäuschend empfinden.
Die Vorsitzende Frau L. bedauerte daraufhin, dass wir ihre Ausführungen für so unbefriedigend halten. Unsere Petition wurde weiteren Prüfungen unterzogen.
Nach Abschluss dieser Prüfungen beschloss der Petitionsausschuss, unsere Petition zur Entscheidung dem Deutschen Bundestag vorzulegen. Dieser beschloss dann am 13.09.2002:
1. Die Petition der Bundesregierung – dem Bundesministerium der Verteidigung – als Material zu überweisen, soweit sie eine Prüfung der Sicherheitsbestimmungen bei Gefechtsschießen betrifft,
2. das Petitionsverfahren im Übrigen abzuschließen.
Auch nach dieser weiteren Überprüfung sahen Petitionsausschuss und Deutscher Bundestag keinen Handlungsbedarf.
Lediglich den Punkt der Sicherheitsbestimmungen hat der Ausschuss nochmals überdacht, äußert allerdings Zweifel, ob weitere neue Vorschriften wirklich mehr Sicherheit bringen. Deshalb wurde entschieden, die Petition dem Bundesministerium der Verteidigung als Material zu überweisen. Er (der Ausschuss) verbindet damit die Erwartung, dass das gesamte Konvolut sicherheitsrelevanter Bestimmungen für Gefechtsschießen einer erneuten ernsthaften Prüfung mit dem Ziel unterzogen wird, möglicherweise zu einer Vereinfachung, damit einhergehend zu einer besseren Handhabbarkeit zu kommen, die aus seiner Sicht letztlich zu mehr Sicherheit führen wird.
Unser einziger Erfolg:
Die Hoffnung, der Tod von Christian könnte zu Vorschriftenänderungen bei Gefechtsschießen führen und damit weitere Todesfälle vermieden werden..
Der Deutsche Bundestag berichtete danach an den Petitionsausschuss und darin heißt es, „dass die entsprechenden Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitsbestimmungen bei der Durchführung von Gefechtsschießen bei Nacht ergriffen wurden“. Weiterhin erfolge eine Neufassung der ZDV 44/10 „Schießsicherheit“.
Nachdem immer wieder Soldaten bei Schießübungen sterben, fragen wir uns bis heute: „Was ist denn aus dem Material geworden, das der Deutsche Bundestag dem Verteidigungsministerium übergeben hat?“
„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“- Grundgesetz Artikel 2, Abs. 2. Daraus ist von einer Schutzpflicht des Staates auszugehen. „Diese verpflichtet den Staat, alles zu tun, um Grundrechte zu verwirklichen. Praktische Bedeutung hat diese Pflicht in erster Linie für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit erlangt. Sie verpflichtet als Grundlage einer Schutzpflicht grundsätzlich zu positivem staatlichem Tätigwerden und sie ist Sache der zuständigen staatlichen Organe“, heißt es in den Erläuterungen der Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland (Konrad Hesse).
In letzter Zeit hat die Frage, ob insgesamt ungeeignete Soldaten in der Bundeswehr dienen wieder an Aktualität gewonnen. Selbst der Verteidigungsminister stellte diese Frage in aller Öffentlichkeit und Stimmen, die die Prüfung des geistigen Niveaus bei der Musterung fordern, wurden laut. Hintergrund ist das skandalöse Auftreten deutscher Soldaten im Ausland (z. B. Präsentieren mit Totenschädeln in Afghanistan). Unserer Monierung nach dem Tod von Christian konnte der Petitionsausschuss nicht folgen. Vielmehr war er überzeugt, dass der ärztliche und psychologische Dienst umfassend bemüht ist, den Entwicklungsstand richtig zu beurteilen !!!!
Im Petitionsverfahren erhielten wir nur die Schreiben des Petitionsausschusses, jedoch nie anderen Schriftverkehr zwischen den Behörden untereinander zur Einsicht. Auch auf Nachfrage nicht. So war es uns nicht möglich, zu einzelnen Punkten unsere Erklärungen abzugeben. Eigeninitiative, kritische Hinterfragung bestehender Normen, sind offensichtlich nicht erwünscht.
Trotz allem danken wir Frau L. als damalige Vorsitzende des Petitionsausschusses. Vielleicht war sie persönlich nicht immer der Meinung des Ausschusses. Wir glauben schon, dass sie sich ausführlich mit der Problematik beschäftigt hat und uns helfen wollte. Vermutlich war ihr als Einzelperson unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr möglich.