Nachdem für uns Eltern nunmehr klar war, dass in dem „bedauerlichen Fall“ – so nennt die Bundeswehr den Tod von Christian – keine weiteren Anklagen erhoben werden, befassten wir uns mit der Frage, ob zumindest das Fehlverhalten beteiligter Soldaten durch Disziplinarstrafen geahndet wurde.
Dafür in Betracht kämen nach unserer Meinung der Leitende des Schießens, Oberleutnant B., der Sicherheitsoffizier Oberleutnant M. und der weitere Schütze, Flieger D.
1. Flieger D.
Aus der Ermittlungsakte ist bekannt, dass Flieger D. 3 Schüsse aus seiner Waffe abgegeben hat. Eine Anklage im strafrechtlichen Sinne konnte nicht erhoben werden, da nicht festgestellt werden konnte, ob einer dieser Schüsse den Sicherheitsgehilfen verletzt hat.
Eine Anfrage im Dezember 1998 an den damaligen Kommandeur des 7. Luftwaffenausbildungsregiments Herrn Oberst A. nach einem durchgeführten Disziplinarverfahren beantwortete er uns im Februar 1999: „Beide Schützen wurden nach Abschluss ihrer Allgemeinen Grundausbildung (Ende Oktober 1997) aus meinem Unterstellungsbereich abgeschleust und haben inzwischen die Bundeswehr nach Ablauf der gesetzlichen Grundwehrdienstzeit wieder verlassen. … Zum Zeitpunkt der Einstellung des Verfahrens (damit ist staatsanwaltschaftliche Ermittlung gemeint) gegen Herrn D. war dieser mir nicht mehr unterstellt. Ich erlaube mir aber den Hinweis, dass Herr D. strafrechtlich als unschuldig freigestellt worden ist, so dass auch ein Disziplinarverfahren nicht angezeigt war.“
Auch das Bundesministerium der Verteidigung, damit befasst durch den Parlamentarischen Staatssekretär und Mitglied des Deutschen Bundestages, Herr W., schloss sich der Meinung von Herrn Oberst A. im Nov. 2004 an. So schrieb Herr W. uns: „Bezüglich der disziplinaren Würdigung des Verhaltens des am Schießunfall beteiligten zweiten Schützen bitte ich zu berücksichtigen, dass die Staatsanwaltschaft Verden das seinerzeit in dieser Angelegenheit laufende Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 16.06.1998 wegen fehlendem hinreichenden Tatverdacht eingestellt hat“.
Bezüglich der staatsanwaltschaften Ermittlungen im strafrechtlichen Sinne ist dieses zwar richtig, es bleibt jedoch die Tatsache bestehen, dass Herr D. 3 mal geschossen hat. Er stand gemeinsam mit seinem Kameraden F. in der Warteposition. Beide haben ihren Aussagen nach unabhängig zur gleichen Zeit den gleichen Fehler gemacht. Nur hatte Herr F. das Pech, dass ihm ein Treffer, und zwar der tödliche für unseren Sohn, nachgewiesen werden konnte.
E r g e b n i s :
Die Bundeswehr hatte kein Interesse an einer Disziplinarmaßnahme.
Das bedeutet, dass ein Soldat das Leben und die Gesundheit anderer gefährden kann und nicht bestraft wird .
2. Sicherheitsoffizier Oberleutnant M.
Die Sicherheitsorgane der schießenden Einheit (Sicherheitsoffizier und Sicherheitsgehilfen) haben die Aufgabe, die innere Sicherheit zu überwachen. Die äußere Sicherheit wird durch das Personal des Truppenübungsplatzes sichergestellt.
Nach der „Besonderen Anweisung für die Ausbildung“ werden Gefechtsschießen als Höhepunkt der Ausbildung bezeichnet.
In der BesAnAusb Nr. 2023/418 heißt es: „Der Sicherheitsoffizier wählt seinen Platz so, daß er Verbindung zum Leitenden hat und die Übungstruppe beim Schießen beobachten und auf sie einwirken kann“.
Aus den Feststellungen der Polizei:
„Der Sicherheitsoffizier hatte bei eingeschränkter Sicht keine Möglichkeit zu jedem Zeitpunkt ab Mun-Ausgabe darauf zu achten, dass die schießende Truppe die zugewiesene Stellung bezieht – dafür Sorge zu tragen, dass die Waffen erst dann geladen werden, wenn Innere und Äußere Sicherheit gegeben sind“.
„Wäre der Sicherheitsoffizier in der Lage gewesen, diese Aufgabe zu erfüllen, bzw. wäre dafür ein gesonderter Sicherheitsgehilfe eingesetzt worden, wäre das Laden der Waffen vermtl. bemerkt und unterbunden worden“.
Auch hier das E r g e b n i s :
Obwohl der Sicherheitsoffizier seine Aufgabe nicht erfüllt hat, gab es keine Disziplinarmaßnahme. Es wurde nicht einmal darüber nachgedacht.
3. Der Leitende des Schießens, Oberleutnant B.
Vor dem Truppendienstgericht Oldenburg wurde am 02.03.1999 ein Disziplinarverfahren gegen den Kompaniechef und Leiter des Nachtgefechtsschießens, Oberleutnant B. durchgeführt.
Wir als Eltern des Opfers wurden darüber nicht informiert. Gemäß § 102(1) Satz 3 WDO wäre eine Teilnahme unsererseits an der Verhandlung möglich gewesen. Dass die Verhandlung vor dem Truppendienstgericht genau auf den ursprünglich 2. Verhandlungstag vor dem Strafgericht in Walsrode zusammenfiel, sei „rein zufällig“ gewesen – so wurde uns das jedenfalls später erklärt.
Auf Nachfrage teilte uns das Truppendienstgericht Nord mit, „es sei zwar richtig, dass wir an der nichtöffentlichen Hauptverhandlung hätten teilnehmen können, wenn wir in Oldenburg anwesend gewesen wären“. Ein entsprechender Informationsanspruch würde jedoch nicht bestehen. Und der Höhepunkt des Briefes: „Sie hätten sich vielmehr selbst rechtzeitig kundig machen müssen…“
Was für eine Arroganz und Überheblichkeit spricht hier aus dem Brief. Jeder Nichtbundeswehrangehörige weiß natürlich sofort, an welche Behörde er sich wenden muss, wie die heißt und wo sie sich befindet. Falls sie, liebe Leser, es auch nicht wissen, dann haben sie heute was gelernt.
Anmerkung: Wir hatten durchaus Versuche unternommen, etwas über disziplinarische Konsequenzen zu erfahren. Leider ohne Erfolg. Im Gegenteil, der Leitende Rechtsberater Luftwaffenamt, Herr E. sagte uns in einem persönlichen Gespräch sinngemäß „ w i r h ä t t e n k e i n R e c h t , e t w a s d a r ü b e r z u e r f a h r e n “.